Unfallschwerpunkte an Dreh- und Fräsmaschinen

Um Präventionsschwerpunkte für die Arbeit an Dreh- und Fräsmaschinen zu setzen, hat der Fachbereich Holz und Metall der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) das Unfallgeschehen an diesen Maschinen genauer beleuchtet. Basis für die anonyme Auswertung waren 156 Unfalluntersuchungsberichte aus den Jahren 2016 bis 2020 aus den digitalen Betriebsakten der BGHM-Mitgliedsbetriebe . In diesen Berichten sind die Unfallursachen an und im Zusammenhang mit Dreh- und Fräsmaschinen von den zuständigen Aufsichtspersonen (AP) dokumentiert.

Unfalluntersuchungsberichte werden von den APn verfasst, wenn:

  1. der oder die Verunfallte länger als drei Tage arbeitsunfähig gemeldet ist. Diese Unfälle werden dem zuständigen Unfallversicherungsträger von den Mitgliedsunternehmen über die gelben Formblätter für Unfallanzeigen oder digital über ein PDF-Formular gemeldet.
  2. sich schwere, tödliche und solche Unfälle ereignen, die einen umfänglichen Rehabilitationsaufwand erwarten lassen.

Die Auswertungs-Ergebnisse lassen sich nach Unfallschwerpunkten clustern und zeigen Unfallursachen, Unfallabläufe und Unfallfolgen auf – interessante Informationen für die tägliche Arbeit in den Betrieben.

Drehmaschinen

Von den ausgewerteten Unfalluntersuchungsberichten entfallen 111 auf Unfälle an oder im Zusammenhang mit Drehmaschinen. Bild 1 veranschaulicht, wie sich die Anzahl auf die konstruktiv sehr unterschiedlichen Drehmaschinengattungen verteilt. Dabei heben sich die handgesteuerten Drehmaschinen und die NC- und Zyklendrehmaschinen von den übrigen Drehmaschinengattungen hinsichtlich ihrer Beteiligung am Unfallgeschehen deutlich ab, sodass es sich lohnt, hier genauer hinzusehen.
 

Bild 1: Beteiligung der Drehmaschinengattungen am Unfallgeschehen; © BGHMBild 1: Beteiligung der Drehmaschinengattungen am Unfallgeschehen

Die Auswertung der 74 Unfälle an oder im Zusammenhang mit handgesteuerten Drehmaschinen ergibt die in Bild 2 gezeigte Verteilung der Unfallschwerpunkte. Die beiden größten Unfallschwerpunkte sind das „Schmirgeln und Polieren“ und das „unbeabsichtigte Ingangsetzen der Drehspindel“.

Bild 2: Unfallschwerpunkte an handgesteuerten Drehmaschinen; © BGHMBild 2: Unfallschwerpunkte an handgesteuerten Drehmaschinen

In den Auflistungen 1 und 2 sind diese beiden Unfallschwerpunkte hinsichtlich der Unfallursachen, des Unfallablaufs und der Unfallfolgen weiter aufgeschlüsselt.

Auflistung 1: Unfallschwerpunkt Nr. 1 „Schmirgeln und Polieren“ an handgesteuerten Drehmaschinen mit 39 Unfalluntersuchungsberichten

1. Unfallursachen: 

  • Das Verwenden von losem Schmirgelleinen oder -papier
  • Das Verwenden ungeeigneter Hilfsmittel
  • In mehreren Fällen das Tragen von Handschuhen

2. Unfallablauf:

  • Das Schmirgelleinen oder -papier wird vom rotierenden Werkstück erfasst. Infolgedessen werden Finger, Hände, gegebenenfalls Handschuhe und/oder Kleidung erfasst und eingezogen.

3. Unfallfolgen: 

  • Multiple Hand-Arm-Frakturen, zum Teil offen
  • Fingersehnendurchtrennungen
  • Amputationen an Fingern, Händen und Armen
  • Prellungen und Schnittverletzungen am Oberkörper
  • In einem Fall wurde dem Bediener das T-Shirt vom Körper gerissen, wobei er schwere Schnittverletzungen am Oberkörper erlitt.
  • In einem weiteren Fall wurde dem Bediener durch die Maschine der Unterarm amputiert.

Auflistung 2: Unfallschwerpunkt Nr. 2 „Unbeabsichtigtes Ingangsetzen der Drehspindel“ an handgesteuerten Drehmaschinen mit 8 Unfalluntersuchungsberichten

1. Unfallursachen:

  • Das unbeabsichtigte Betätigen der Spindelstarteinrichtung

2. Unfallablauf

  • In 7 Fällen war die Verrastung des Einrückhebels so verschlissen, dass dieser durch Anstoßen mit dem Bein betätigt werden konnte.
  • In 2 Fällen hat eine zweite Person, die unterwiesen worden war, den Einrückhebel durch Herantreten oder Zurücktreten unbeabsichtigt betätigt.
  • In einem Fall hat ein auf den Einrückhebel fallendes schweres Werkzeug zum Spindelstart geführt.
  • In einem Fall war der Spindelstarttaster unzureichend gegen unbeabsichtigtes Betätigen gesichert.

3. Unfallfolgen

  • Hand-Arm-Frakturen
  • Amputationen an Fingern
  • Hautverletzungen

Die Auswertung der 28 Unfalluntersuchungsberichte an oder im Zusammenhang mit NC- und Zyklendrehmaschinen ergibt die in Bild 3 gezeigte Verteilung der Unfallschwerpunkte. Die beiden größten Unfallschwerpunkte sind hier der „Werkstückverlust“ und das „Werkstückspannen“ gleichauf mit dem „Schmirgeln und Polieren“.

Bild 3: Unfallschwerpunkte an NC- und Zyklendrehmaschinen; © BGHMBild 3: Unfallschwerpunkte an NC- und Zyklendrehmaschinen

Die beiden größten Unfallschwerpunkte „Werkstückverlust“ und „Werkstückspannen“ an NC- und Zyklendrehmaschinen sind in den folgenden beiden Auflistungen 3 und 4 hinsichtlich der Unfallursachen, des Unfallablaufs und der Unfallfolgen aufgeschlüsselt. Der Unfallschwerpunkt „Schmirgeln und Polieren“ ist im Zusammenhang mit den handgesteuerten Drehmaschinen in Auflistung 1 bereits hinreichend beleuchtet worden.

Auflistung 3: Unfallschwerpunkt Nr. 1 „Werkstückverlust“ an NC- und Zyklendrehmaschinen mit 8 Unfalluntersuchungsberichten

1. Unfallursachen:

  • Nicht fachgerecht verschraubte Aufsatzbacken.
  • Spannfutter, das am Folgetag nicht nachgezogen wurde.
  • Programmierfehler im Bearbeitungsprogramm führen zum Beispiel zu einer zu hohen Bearbeitungsdrehzahl, falscher Werkzeugauswahl, Kollision des Werkzeugs mit dem Werkstück beim Innendrehen.

2. Unfallablauf:

  • In 3 Fällen wurde die Schutztür durch das Werkstück aufgeschlagen beziehungsweise herausgeschleudert.
  • In 3 Fällen hat das Werkstück das Sichtfenster durchschlagen.
  • In 2 Fällen hat das Werkstück die Schutztür ausgelenkt.

3. Unfallfolgen:

  • In 2 Fällen tödliche Kopfverletzungen
  • In einem Fall wurde ein an einer anderen Maschine beschäftigter Kollege von der weggeschleuderten Tür von hinten tödlich getroffen.

Auflistung 4: Unfallschwerpunkt Nr. 2 „Werkstückspannen“ an NC- und Zyklendrehmaschinen mit 3 Unfalluntersuchungsberichten

1. Unfallursachen

  • Verwechseln von Bedienelementen
  • Fehlhalten des Werkstückes
  • Werkstückgewicht unterschätzt

2. Unfallablauf:

  • In einem Fall wurden die Tasten für Tippbetrieb und Automatik verwechselt.
  • In einem Fall hat die Bedienperson das Werkstück so gehalten, dass der Daumen beim Vorfahren der Pinole mittels Fußschalter gequetscht wurde.
  • In einem Fall hat die Bedienperson beim Ausspannen das Gewicht des Werkstückes unterschätzt, sodass das Werkstück auf die Hand fiel.

3. Unfallfolgen:

  • Quetschungen und Frakturen an Fingern und Händen

Fräsmaschinen

Von den ausgewerteten Unfalluntersuchungsberichten entfallen 45 auf Unfälle an oder im Zusammenhang mit Fräsmaschinen., dabei lassen sich 30 Unfalluntersuchungsberichte der Fräsmaschinengattung Bearbeitungszentren und 15 Unfalluntersuchungsberichte der Fräsmaschinengattung handgesteuerte Fräsmaschine zuordnen.
Die Auswertung der 30 Unfalluntersuchungsberichte an oder im Zusammenhang mit Bearbeitungszentren ergibt die in Bild 4 gezeigte Verteilung der Unfallschwerpunkte. Die beiden größten Unfallschwerpunkte sind die „Störungsbeseitigung“ und die „Instandhaltung/Montage“.

Bild 4: Unfallschwerpunkte an Bearbeitungszentren; © BGHMBild 4: Unfallschwerpunkte an Bearbeitungszentren

In den folgenden beiden Auflistungen 5 und 6 sind diese beiden Unfallschwerpunkte hinsichtlich der Unfallursachen, des Unfallablaufs und der Unfallfolgen weiter aufgeschlüsselt.

Auflistung 5: Unfallschwerpunkt Nr. 1 „Störungsbeseitigung“ an Bearbeitungszentren mit 7 Unfalluntersuchungsberichten

1. Unfallursachen:

  • Störungsbeseitigung durch die Bedienperson im laufenden Betrieb ohne geeignete Hilfsmittel

2. Unfallablauf:

  • In 4 Fällen wurden feststehende trennende Schutzeinrichtungen demontiert, um Zugang zu gefahrbringenden Bewegungen (zum Beispiel Späneförderer, Werkzeugwechselmagazin, Antriebsmotor) zu erhalten.
  • In einem Fall wurde bei der Beseitigung einer Klemmung die gespeicherte Energie nicht berücksichtigt.
  • In einem Fall wurde eine Spanneinrichtung nicht bestimmungsgemäß durch eine zweite Person bedient.

3. Unfallfolgen:

  • Schwere Quetschungen und Frakturen an Fingern, Händen und Kopf
  • Fingeramputationen

Auflistung 6: Unfallschwerpunkt Nr. 2 „Instandhaltung/Montage“ an Bearbeitungszentren mit 6 Unfalluntersuchungsberichten

1. Unfallursachen:

  • In 2 Fällen war versäumt worden, gelöste Maschinenteile gegen Lageveränderung zu sichern.
  • In 2 Fällen waren Zuführsysteme nicht abgeschaltet.
  • In einem Fall sollten die Kollegen auf etwas hingewiesen werden. Dabei wurde unbeabsichtigt in den Werkzeugwechsler gegriffen.
  • In einem Fall war ein angehobenes Maschinenteil nicht sicher angeschlagen.

2. Unfallablauf:

  • In 2 Fällen wurden Befestigungselemente von Maschinenteilen gelöst, die sich daraufhin unkontrolliert bewegten.
  • In 2 Fällen wurden Zuführsysteme instandgehalten beziehungsweise montiert, die unbeabsichtigt anliefen, weil man übersehen hatte, diese separat abzuschalten.

3. Unfallfolgen:

  • Quetschungen
  • Frakturen und Teilamputationen an Fingern, Händen und Füßen

Die Auswertung der 15 Unfalluntersuchungsberichte an oder im Zusammenhang mit handgesteuerten Fräsmaschinen ergibt die in Bild 5 gezeigte Verteilung der Unfallschwerpunkte. Die beiden größten Unfallschwerpunkte sind das „Einziehen von Kleidung und Handschuhen“ und der „Kontakt mit drehender Werkzeugspindel“.

Bild 5: Unfallschwerpunkte an handgesteuerten Fräsmaschinen; © BGHMBild 5: Unfallschwerpunkte an handgesteuerten Fräsmaschinen

In den folgenden beiden Auflistungen 7 und 8 sind diese beiden Unfallschwerpunkte hinsichtlich der Unfallursachen, des Unfallablaufs und der Unfallfolgen weiter aufgeschlüsselt.

Auflistung 7: Unfallschwerpunkt Nr. 1 „Einziehen von Kleidung und Handschuhen“ an handgesteuerten Fräsmaschinen mit 6 Unfalluntersuchungsberichten

1. Unfallursachen

  • Bedienperson hantiert mit den oberen Gliedmaßen in der Nähe der sich drehenden Werkzeugspindel und trägt vielleicht sogar Handschuhe.

2. Unfallablauf:

  • In 3 Fällen wurde beim Beseitigen von Spänen an der Bearbeitungsstelle der getragene Handschuh vom sich drehenden Werkzeug erfasst.
  • In einem Fall geriet der Ärmel der Bedienperson an das sich drehende Werkzeug und wurde erfasst.
  • In einem Fall griff eine Person nach dem KSS-Schnorchel, wobei der getragene Handschuh vom sich drehenden Werkzeug erfasst wurde.
  • In einem Fall griff die Bedienperson nach einem heruntergefallenen Werkstück. Daraufhin wurde der getragene Handschuh vom sich drehenden Werkzeug erfasst.

3. Unfallfolgen:

  • Frakturen an Händen und/oder Armen, zum Teil offen
  • Fingeramputationen
  • Fingersehnenrupturen

Auflistung 8: Unfallschwerpunkt Nr. 2 „Kontakt mit drehender Werkzeugspindel“ an handgesteuerten Fräsmaschinen mit 3 Unfalluntersuchungsberichten

1. Unfallursachen:

  • Bedienperson hantiert mit den oberen Gliedmaßen in der Nähe der sich drehenden Werkzeugspindel

2. Unfallablauf:

  • In einem Fall beseitigte die Bedienperson Öl mit einem Lappen vom Werkstück, als der Lappen vom sich drehenden Werkzeug erfasst wurde.
  • In einem Fall kontrollierte die Bedienperson mit dem Finger die bereits bearbeitete Werkstückoberfläche, als die Hand an das sich drehende Werkzeug geriet.
  • In einem Fall wurden Auszubildende an einer handgesteuerten Fräsmaschine unterwiesen. Als die Lehrperson etwas zeigen wollte, geriet sie mit einem Finger an das sich drehende Werkzeug.

3. Unfallfolgen

  • Schnittverletzungen an Händen und Fingern
  • Fingeramputationen

Auswertung

Anhand der Auswertungen der 156 Unfalluntersuchungsberichte und wenn nur die beiden größten Unfallschwerpunkte je Maschinengattung berücksichtigt werden, lassen sich eine Rangfolge dieser Unfallschwerpunkte (Auflistung 9) und eine Rangfolge der am Unfallgeschehen beteiligten Werkzeugmaschinengattungen (Bild 6) ablesen.

Auflistung 9: Rangfolge der Unfallschwerpunkte bezogen auf die 156 Unfalluntersuchungsberichte

  • 1,9 % der Unfälle ereignen sich beim Werkstückspannen (Unfallschwerpunkt Nr. 2 an NC- und Zyklendrehmaschinen)
  • 1,9 % der Unfälle ereignen sich durch Kontakt mit drehender Werkzeugspindel (Unfallschwerpunkt Nr. 1 an handgesteuerten Fräsmaschinen)
  • 3,8 % der Unfälle ereignen sich durch das Einziehen von Kleidung und Handschuhen (Unfallschwerpunkt Nr. 1 an handgesteuerten Fräsmaschinen)
  • 3,8 % der Unfälle ereignen sich bei der Instandhaltung/Montage (Unfallschwerpunkt Nr. 2 an Bearbeitungszentren)
  • 4,5 % der Unfälle ereignen sich bei der Störungsbeseitigung (Unfallschwerpunkt Nr. 1 an Bearbeitungszentren)
  • 5,1 % der Unfälle ereignen sich durch Werkstückverlust (Unfallschwerpunkt Nr. 1 an NC- und Zyklendrehmaschinen)
  • 5,1 % der Unfälle ereignen sich durch unbeabsichtigtes Ingangsetzen der Drehspindel (Unfallschwerpunkt Nr. 2 an handgesteuerten Drehmaschinen)
  • 25 % der Unfälle ereignen sich beim Schmirgeln und Polieren (Unfallschwerpunkt Nr.1 an handgesteuerten Drehmaschinen)
Bild 6: Rangfolge der Maschinengattungen hinsichtlich ihrer Beteiligung am Unfallgeschehen, bezogen auf die 156 Unfalluntersuchungsberichte; © BGHMBild 6: Rangfolge der Maschinengattungen hinsichtlich ihrer Beteiligung am Unfallgeschehen, bezogen auf die 156 Unfalluntersuchungsberichte

Zusammenfassung

Es wurden 156 Unfalluntersuchungsberichte an oder im Zusammenhang mit Dreh- und Fräsmaschinen aus den Jahren 2016 bis 2020 aus dem Zuständigkeitsbereich der BGHM ausgewertet. Aus dem Gesamtfeld der ermittelten Unfallschwerpunkte sticht der Unfallschwerpunkt „Schmirgeln und Polieren“ von Werkstücken auf handgesteuerten Drehmaschinen mit einem Anteil von 25 % deutlich hervor (siehe Auflistung 9). Damit erweist sich das „Schmirgeln und Polieren“ als auffällig, sowohl was die Quantität der Unfälle angeht als auch hinsichtlich der Schwere der Unfallfolgen.

Addiert man die prozentualen Anteile der Unfalluntersuchungsberichte mit den beiden größten Unfallschwerpunkten je Maschinengattung (siehe Bild 6), dann sind die handgesteuerten Drehmaschinen mit einem Anteil von 30,1 % deutlich stärker am Unfallgeschehen beteiligt als die drei anderen Maschinengattungen.

Damit sollte es sich lohnen, präventive Maßnahmen mit besonderem Fokus auf die handgesteuerten Drehmaschinen weiterzuentwickeln, wie zum Beispiel die Mitarbeit in der Normung, die Prüfung und Zertifizierung von Werkzeugmaschinen sowie die Beratung und Schulung der Mitgliedsbetriebe.

Von Ralf Kesselkaul, BGHM