„Die Psyche ist keine reine Privatsache“

Psychische Erkrankung; © David Pereiras/ stock.adobe.com

Seelische Erkrankungen auf dem Vormarsch – auch in den Branchen Holz und Metall

Der „Psychreport“ einer großen deutschen Krankenkasse zeigt, dass die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Belastungen signifikant steigt. Insbesondere jüngere Altersgruppen sind demnach betroffen. Martin Prüße beschäftigt sich als Fachreferent für Arbeitsgestaltung und Präventionskultur bei der BGHM schwerpunktmäßig mit der psychischen Gesundheit bei der Arbeit. Im Interview erläutert er Ursachen für den Anstieg von seelischen Erkrankungen und gibt Tipps, worauf Unternehmerinnen und Unternehmer achten sollten.

Die Anzahl der Fehltage aufgrund psychischer Belastungen ist in den vergangenen zehn Jahren um 48 Prozent gestiegen – das geht aus dem DAK Psychreport 2023 hervor. Wie sieht das in den Branchen Holz und Metall aus?

Martin Prüße: Ähnliche Daten finden sich auch in den Gesundheitsberichten anderer Krankenkassen. Es darf also meines Erachtens ruhig von einer allgemeinen Entwicklung gesprochen werden. Im Gegensatz zu den Krankenkassen erfassen wir als Berufsgenossenschaft die Zahl der Fehltage und die zugrundeliegenden Diagnosen nicht. Was wir auf der Seite der Beratung und Prävention aber schon sehen, ist, dass die Zahl der Beratungsanfragen aus den Betrieben zum Themenfeld arbeitsbedingter psychischer Ein- und Auswirkungen stetig steigt. Das ist ganz klar ein Indiz dafür, dass das auch in den bei uns versicherten Unternehmen ein sehr wichtiges Thema ist. 

Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?

Martin Prüße: Über die Auswirkungen psychischer Belastung, auch bei der Arbeit, zu sprechen, ist einfacher geworden. Außerdem gelten Betroffene für ihre Umwelt in aller Regel nicht mehr als schwächlich oder gar als Fall für die Psychiatrie, werden also weniger stigmatisiert. Das ist gut. Allerdings führt diese Entwicklung auch zu einem statistischen Anstieg von einschlägigen Diagnosen und ärztlichen Berichten. Darüber hinaus fördern Faktoren wie Digitalisierung, Automatisierung, Diversität, Internationalität und der Fachkräftemangel auch eine Verdichtung der Arbeit. Auch Beruf, Familie und Freizeit miteinander zu vereinbaren, ist eine Herausforderung. All das verlangt Disziplin, um sich abzugrenzen und erholen zu können und kann zu Überforderung führen. 

Brauchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer also mehr Selbstdisziplin, um sich erholen zu können und so psychisch gesund zu bleiben?

Martin Prüße: Es geht weniger um Selbstdisziplin als um die individuelle Sicherheits- und Gesundheitskompetenz beziehungsweise das Bewusstsein dafür. Denn das ist heute viel stärker gefordert als früher. Anders ausgedrückt: Da sich Bedingungen stetig verändern, kommen Regelungen und Vorschiften zunehmend zu spät. Vieles ist außerdem durch den dauernden Wandel nicht mehr kontrollier- und vorhersehbar. Entsprechend wird die Fähigkeit, für sich selbst sichere und gesunde Entscheidungen zu treffen, immer wichtiger. 

Und was können Unternehmerinnen und Unternehmer tun?

Martin Prüße: Zunächst einmal sollten sie sich klar machen, dass die Psyche keine reine Privatsache ist. Forschungsergebnisse belegen, dass ungünstige psychische Belastung zu Einbußen bei der Arbeitsfähigkeit und der Leistung führen kann. Langfristig begünstigt sie Burnout, chronische Schmerzen, Herz-Kreislaufprobleme und Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen. Daher ist eine Gefährdungsbeurteilung, die auch psychische Belastungen berücksichtigt, nicht nur verpflichtend, sondern auch eine lohnende Investition. Sie führt zu einem guten Mix an Schutzmaßnahmen gegen Stressfaktoren und idealerweise zu Arbeitsbedingungen, die es Beschäftigten ermöglichen, engagiert, gesund und sicher zu arbeiten. So kann eine sich verändernde Arbeitswelt immer wieder neu sicher und gesund gestaltet und Betroffenen mit gezielten Präventionsmaßnahmen geholfen werden. 

Die BGHM berät ihre Mitgliedsbetriebe bei allen Fragen rund um die psychische Gesundheit bei der Arbeit. Für die Integration psychischer Belastung in die Gefährdungsbeurteilung stellt sie eine Handlungshilfe zur Verfügung. Mehr Infos dazu unter Fachthemen: Psychische Belastung